Die
Walpurgisnacht
In der Walpurgisnacht ziehen
die Hexen und Hexenmeister aus allen Gauen des weiten Niedersachsenlandes nach
dem Brocken. Ehe sie ihre Reise antreten, sprechen sie den Zauberspruch:
„Fahre hin, fahre hin, nach dem Blocksberg steht mein Sinn!“ Dann geht‘s
im Hui durch den offenen Schornstein in die Lüfte und dem Brocken zu. Auf
Besenstielen und Butterfässern, auf Ziegenböcken und Katzenschwänzen, auf
Baumstämmen und sogar auf Menschen, die ihnen unterwegs begegnen, sausen sie
durch die Luft dahin.
Manchen hat es schon gelüstet,
die seltsamen Reiter zu erspähen. Das kann glücken, wenn man sich still auf
einen Kreuzweg setzt, seine Brust kreuzweise mit einem hanfenen Seile umgürtet
und zwei Eggen über sich deckt. Wehe aber, wer bei seiner Neugier nicht sorgfältig
darauf achtet, daß kein Zipfelchen des Gewandes hervorschaut; denn sonst
gewinnen die Bösen die Herrschaft über ihn. Sie treiben mit dem Unvorsichtigen
ihren Schabernack, reißen ihn mit sich fort oder drehen ihm auch wohl den Hals
um.
Eine alte Überlieferung in
Groß Bülten bezeugt, daß die Hexen und Hexenmeister auf dem Wege zur
Walpurgisfeier die Bültener Feldmark überquerten. Dort, wo ihr Reiseweg den
Solschener Kirchweg kreuzte, sollen sie ständig gerastet haben. Es war ihnen
nicht möglich, vor Mitternacht an dem hier aufgestellten Kreuze vorüberzukommen.
Auch in Klein Lafferde wurde in der Spinnstube erzählt, daß die Hexen am „alten
Maitage(*)“ an der Straßenkreuzung
„Weißes Kreuz“ vorübergezogen seien.
Bei der Ankunft der nächtlichen
Reiter auf dem Gipfel des Vaters Brocken umhüllten dichte Nebel die verkrüppelten
Fichten und die wunderlich gestalteten Klippen. Plötzlich fängt dieser
Zauberschleier der Nacht an zu leuchten. Aus dem Brockenmoor tauchen bläulich
flimmernde Irrlichter empor. Fast vermoderte Baumstümpfe erglühen in
geisterhaft unheimlichem Gefunkel. Ein gewaltiger Sturmwind umbraust das kahle
Haupt des Berges. Die ersten Hexen, die heranrasen, kehren mit ihren Besen den
Schnee weg und lassen eine lustiges Feuer aufflackern. Inzwischen sind auch die
letzten Ankömmlinge gelandet. Dann steigert sich das Leuchten, Flimmern und
Funkeln ins überirdisch Zauberhafte; denn Urian erscheint und besteigt sogleich
die Teufeiskanzel. Er richtet an die Versammelten eine zündende Ansprache.
Inzwischen wird auf dem Hexenaltar ein weithin duftendes Mahl bereitet, das alle
Erschienenen nach den Anstrengungen der Sturmfahrt erquickt. Der Hexenbrunnen
spendet dazu köstlichen Wein, der wie Feuer durch die Adern rinnt.
Dem Hexenmahle folgt ein Fest
von solch sündhafter Ausgelassenheit, daß sich gewöhnlich Sterbliche keine
Vorstellung davon machen können. Der Teufel geigt auf einem Pferdekopf oder
pfeift auf einem Kotzenschwanze eine wundersame Musik, die alle Herzen
unwiderstehlich in Bann schlägt. In wildem Reigen umtanzt die Schar der Hexen
und Zauberer ihren Herrn und Gebieter. In teuflischer Lust dreht sich alles in
wirbelndem Tanze. Flammende Feuerbrände kreisen in kunstvollen Schwingungen um
die Häupter der Erhitzten. Bald wird auch der Teufel mit in den wüsten Trubel
gezogen. Er sucht sich die schönsten Hexen aus, erweist sich als bester Tänzer,
dreht sich und wiegt sich, wird immer feuriger und tollt schließlich in
atemberaubendem Tempo durch die tanzende Menge, bis die Tänzerin ermattet
zusammenbricht. So geht es bis zum frühen Morgen.
Wenn in den Tälern die Hähne
krähen und das erste Morgenlicht seinen blassen Schimmer um den Brockengipfel
ergießt, verschwindet der Spuk. Wie die Unholden gekommen sind, so fliegen sie
wieder vondannen. Bald ist ihre Spur verloren.
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Nach dem ehemals geltenden Julianischen Kalender lag Walpurgis (1. Mai) später
als heute; deshalb bezeichnet der Volksmund diesen Tag als „alten Maitag.“
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