Die Eule zu Peine

In der Stadt Peine hat sich vor langen Jahren einmal eine seltsame Geschichte zugetragen. Eine von den großen Eulen, die man Uhu nennt, war in der Morgendämmerung in die Scheune eines Ackerbürgers eingeflogen. Aus Furcht vor anderen Vögeln, die am Tage über alle Eulen herfallen, hatte sie den Ort nicht mehr verlassen. In der Frühe des Tages kam ein Knecht, um Stroh aus der Scheune zu holen und wurde dabei des Vogels gewahr. Er erschrak heftig, kehrte um und lief schnell, es seinem Herrn anzuzeigen. Dieser fürchtete sich nicht weniger, als er das Ungetüm erblickte und rief die ganze Nachbarschaft zusammen, ob nicht einer Rat und Hilfe wüßte. Hierdurch entstand in der ganzen Stadt ein Getümmel, als sei der schlimmste Feind in die Mauern eingedrungen. Viele Männer eilten mit mancherlei Waffen herbei, um das furchterregende Tier zu töten. Ja, selbst der Bürgermeister und die Herren vom Rat erschienen, um der Not ein Ende zu bereiten. Allein keiner wagte es, dem Untier zu Leibe zu gehen, wenn er es gesehen hatte.

Jetzt erinnerte man sich daran, daß unter den Bürgern der Stadt ein Mann lebte, der wegen seines Mutes großen Ruhm genoß. Man ließ ihn herbeiholen. Er schalt den Kleinmut, legte seinen Harnisch an, setzte den Helm auf, nahm seinen Degen und einen langen Spieß in die Hände und stieg alsdann die Leiter hinauf. Die Anwesenden feuerten ihn an, mutig zu fechten. Kein Mensch in der Menge zweifelte daran, daß es ihm gelingen würde, der Bestie das Lebenslicht auszublasen.

Als der Gepanzerte oben ankam, rief man ihm zu: „Stich! Stich!“ Durch dieses Geschrei wurde der Uhu verwirrt und so erschreckt, daß er vor Furcht die Augen verdrehte, mit dem Schnabel gnappte, die Federn sträubte und die Flügel sperrte. Zugleich ließ er mit schrecklicher Stimme seinen Ruf: „Schuhu-u! Schuhu-u! Schu-u-u-hu!“ ertönen. Alle Leute wichen entsetzt zurück, manche flohen voller Angst. Selbst den tapferen Kriegsmann ergriff eine unerklärliche Furcht, so daß es ihm unmöglich war, das Tier umzubringen. So stieg er beschämt und hilflos die Leiter hinunter. Danach fand sich keiner mehr, der sich der schrecklichen Gefahr aussetzen wollte. Nunmehr sahen sich Bürgermeister und Rat genötigt, die Stadt auf andere Weise von der Gefahr zu befreien. Mancher Vorschlag wurde erwogen; schließlich beschloß man, die Scheune zu verbrennen und so das Tier zu beseitigen. Der Schaden, der dem Ackerbürger entstehen würde, sollte aus der Stadtkasse ersetzt werden. Also ward die unschuldige Eule jämmerlich verbrannt und ist bis auf diesen Tag nicht wieder lebendig geworden.

In ganz Niedersachsen sang man hinterher den Spottvers:

Ist einer keck, zieh er gen Pein‘
und geh‘ daselbst zu Bier und Wein,
frag sie, was ihnen die Eul‘ getan,
warum sie die verbrennet han.
Kommt er ungeschlagen wieder heraus,
will ich ihm, was er drin verzecht,
doppelt bezahlen, wie es recht!


(Kirchhofs Wendenunmuth von 1563 nacherzählt.)