Der Spuk auf
dem Bärenkampe
Auf dem Bärenkampe zwischen
Dedenhausen und Eddesse ist es in dunklen Herbstnächten nicht geheuer; denn
dort „pläuget de olle Harre“. So erzählen alte Leute in Dedenhausen und
Eddesse. Das soll ein alter Geizhals gewesen sein, der seinen Feldnachbaren
Furchen vom Acker abgepflügt hat, weil er „den Hals nicht voll genug"
kriegen konnte. Nötig hatte er es nicht, denn er hatte einen großen Hof und
keinen Anhang. Weil er ohne Erben verstorben ist, kann niemand von seinen
Nachkommen das geschehene Unrecht wieder gut machen. Darum kann er im Grabe
keine Ruhe finden und muß in dunklen Nächten, wenn der Herbststurm über die
Felder jagt, ohne Pause pflügen, pflügen und wieder pflügen.
Beim Müller der Mühle zur Wolfsforde, die ganz in der Nähe liegt, diente vor Jahren ein Knecht. Eines
Tages hörte er auch die Erzählung vom ollen Harre“. Ihm kam die
Wichtigtuerei der Leute, wenn sie darauf zu sprechen kamen, lächerlich vor;
deshalb lachte er stets den Erzähler aus. Doch eines Tages lachte er nicht
mehr, und das kam so:
Der Knecht war nach Eddesse
gewesen und kam erst bei Dunkelheit zurück. Ein heftiger Sturm brauste über
den Bärenkamp hin. Als er bei der Bahnwärterbude über die Strecke
Hannover-Berlin ging, rief ihm der Bahnwärter zu: „Hüte is et nich
richtig!“ Der Knecht lachte kurz und schritt weiter. Er war noch nicht weit
vom Bahnübergange entfernt, da fuhr er plötzlich zusammen! Ein merkwürdiger
Laut war an sein Ohr gedrungen. Er blieb stehen, um zu lauschen. Wohl hatte die
Kraft des Sturmes noch zugenommen, aber das war nicht die Ursache dieses
nervenaufpeitschenden Tones. Das klang wie das Knirschen eines Pfluges. Jetzt hörte
er ganz deutlich das Quietschen der Räder eines Pfluggestelles. Da, ein
Peitschenknall! Kalt lief‘s ihm über den Rücken. Er möchte weitergehen,
aber die Beine versagen ihm den Dienst. Er wischte sich mit dem Handrücken über
die Augen, um festzustellen, ob er träumte oder wachte. Ja, das Lachen war ihm
vergangen. Dazu hörte er die Geräusche inzwischen aus größter Nähe: das
Stampfen und Schnauben der Pferde, das Klirren der Ketten und das Knirschen des
Ledergeschirrs. Wie, wenn der „olle Harre“ jetzt aus dem Dunkel plötzlich
vor ihm auftauchte! Was sollte er denn nur machen? Auf einmal klang vor ihm ein
Ruf auf. Dumpf und hohl wehte die Stimme des nächtlichen Pflügers an sein Ohr:
„Hotte, hotte hü! Hotte hü-ü-ü! Kumm rum!“ Vor Erregung schnürte sich
ihm die Kehle zu. Kaltes Grauen erfaßte ihn, aber gleichzeitig gewann er wieder
die Herrschaft über seine Glieder. So schnell er konnte, lief er nach der Bahnwärterbude
zurück. Dort ließ er sich auf eine Bank niederfallen, aber er konnte lange
Zeit kein Wort hervorbringen.
Als er sich wieder gefaßt
hafte, teilte er dem Bahnwärter sein Erlebnis mit. Er durfte ja annehmen, daß
auch der mehr wußte, als die andern Leute; denn der hatte ja schon viele Sturmnächte
auf dem Bärenkampe mitgemacht.
Wäre der Müllerknecht aber
mutig stehen geblieben und das Gespann von ihm berührt worden, dann hätte der
Spuk vom gleichen Tage an ein Ende gehabt.
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