Der nächtliche
Pflüger im Wendesser Moor
Vor vielen, vielen Jahren sah
es in unsern Feldmarken ganz anders aus als heute. Unsere Vorfahren betrieben
damals noch die Dreifelderwirtschaft. Auf einem Drittel ihres Landes bauten sie
die Sommerfrüchte, auf dem andern Drittel stand die Winterfrucht, und das
letzte Drittel lag „brach“, da wurde nichts angebaut.
Auch gab es nicht so gerade
Feldwege und Gräben. So prachtvolle, breite Koppeln wie heute bekam man auch
nicht zu sehen. Lauter kleine, schmale Streifen Landes hatte der Bauer. Da diese
schmalen Ackerstreifen nicht durch Grenzsteine getrennt waren, gab es oft
Streitigkeiten. Oft pflügte der böse Nachbar ein paar Furchen zu viel von dem
angrenzenden Acker ab.
Ganz besonders schlimm war
dieser Zank da, wo die Feldmarken zweier benachbarter Gemeinden
aneinanderstießen.
Am Wendesser Moore grenzt die
Feldmark Wendesse an die Feldmark von Eixe. Kennst du das schöne Wendesser
Moor? Es wird von Jahr zu Jähr kleiner. Schon nimmt eine riesige Weide den größten
Teil des Moores ein. Wie lange wird‘s noch dauern, und das Paradies der
Kiebitze und der kleinen, flinken Krickenten wird nicht mehr sein!
Vor langen Jahren war das
Wendesser Moor aber viel, viel größer. Da standen rings um das Moor hohe,
rotbraune Fuhren, und in die Fuhren hatte der Fischmeister Reiher seinen Horst
gestellt. Da plärrten die Elstern, da ließ der bunte Wiedehopf sein „Hupp,
pupp, pupp!“ ertönen. Um das Moor zog sich ein breiter Schilfgürtel, darin
trommelte die Rohrdommel, quarrte die Wiesenknarre, flötete ganz wundervoll der
„Moorkönig“ (Großer Brachvogel), da tummelte sich ein ganzes Heer von
Regenfeifern und Tauchern, und die vielen Wildenten wünschten sich gar kein
besseres Leben.
Zu dieser Zeit lebte in Eixe
ein böser und streitsüchtiger Bauer. Er hatte einen langen, schwarzen Bart,
stechende Augen und ganz gewaltige Fäuste. Ja, der konnte wohl den Pflug
regieren und tiefe, tiefe Furchen durch den Acker ziehen. Auch fluchen und
schimpfen konnte er fürchterlich, und die armen Pferde bekamen gar oft die
Peitsche zu spüren.
Sein kleinstes Stück Land lag
am Wendesser Moor. Ganz aber grenzte es nicht heran, denn davor hatte ein
Wendesser noch ein Heidstück liegen. Von diesem Lande pflügte der böse Bauer
in jedem Jahre breite Furchen ab, denn er war habsüchtig und geizig und gönnte
seinen Mitmenschen nichts. Schon oft hatte sich der Wendesser Bauer bei ihm
beschwert und ihm sein Unrecht vorgehalten, aber es half nichts.
An einem grauen Herbstmorgen,
als aus dem Moore dicke Nebelschwaden aufstiegen und man kaum ein paar Meter
weit sehen konnte, da war der böse Bauer wieder dabei, seinem Nachbarn eine
Furche nach der andern abzupflügen. So schlimm hatte er es noch in keinem Jahre
gemacht. Da kam zufällig der Bauer aus Wendesse mit seinem Plaggeneisen daher,
um auf seinem Heidacker Brennplaggen für den nahen Winter zu hacken. Als er nun
sah, wie es der Eixer dieses Mol trieb, fiel er den Pferden in die Zügel und
schrie: „Halt ein! Halt ein! Du pflügst ja mir und meinen Kindern die ganze
Heide um! Meine Schnucken behalten nichts zu knuppern, und wo soll ich in
Zukunft Brennplaggen hacken. Wir müssen ja im harten Winter erfrieren!“
Schon aber ließ der Bauer
seinen Pflug los. Seine schwarzen Augen funkelten, auf der Stirne schwoll ihm
eine dicke, rote Zornesader, und in seinem Jähzorn entriß er dem Bauern das
Plaggeeisen. Wütend schwang er es durch die Luft. Ein einziger Schlag, und der
arme Wendesser lag schwer getroffen in der braunen Heide. Aus einer furchtbaren
Wunde sprang das rote Blut. Noch einmal schlug er die Augen auf, sah seinen Mörder
an und rief: „Du mußt dereinst jede gestohlene Furche zurückpflügen; es
hilft dir alles nichts, du Mörder!“ - Dann
verschied er.
Der rohe Mensch machte sich
nichts aus seiner bösen Tat, nahm sein Opfer und warf es in das schwarze
gurgelnde Moor. Niemand hat erfahren, wo der arme Bauer sein nasses, schwarzes
Grab gefunden.
Als nun im nächsten Jahr der
Mörder wieder am Moore pflügte, da wollte es gar nicht vorwärts gehen. Die
Pferde bäumten sich auf, scheuten, und es war, als wenn jemand die Tiere am Zügel
festhielt.
Wütend schlug der Bauer auf
die Pferde ein. An der Stelle, wo der Wendesser Bauer seinen letzten Atemzug
getan hatte, blieben sie stehen und wollten keinen Schritt weiter tun.
Da ließ der Bösewicht seinen
Pflug los und schlug mit seiner Pflugschaufel auf die Tiere ein. Wieder bäumten
sie sich hoch auf, aber vorwärts gingen sie nicht. Plötzlich wurde der Bauer
von einem furchtbaren Hufschlag getroffen, und an derselben Stelle, wo er ein Mörder
geworden war, da sank auch er tot zu Boden. Vom Moore her aber tönte in diesem
Augenblicke eine furchtbare Stimme: „Pflüge!“
Nach drei Tagen wurde der
Bauer begraben, aber er fand im Grabe keine Ruhe. Er muß immerfort pflügen.
Jede Nacht von 11—12 Uhr macht er sich an seine mühsame Arbeit. Vor einer
silbernen Pflugschar gehen zwei schwarze Hähne mit feuerroten Beinen und Kämmen.
Sie tragen ein kleines, silbernes Geschirr. Der Bauer geht in einem großen,
schwarzen Mantel hinter ihnen. Er schwingt eine Peitsche mit glühender Schnur.
Aber in jeder Nacht kann er
mit seinem seltsamen Gespann nur wenige Zentimeter wieder an den Heidacker pflügen.
Viele, viele hundert Jahre muß er noch pflügen, ehe er sein Unrecht wieder gut
gemacht hat.
Wenn der helle Mondschein sich
im schwarzen Wasser des Moores spiegelt, dann kann man ihn sehen, dann hört man
auch sein: „Hü hott!“
Schlägt aber im nahen
Stederdorf die Turmuhr zwölf, dann ist der ganze Spuk mit einem Male
verschwunden.
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