Der Berggeist
Vom Berggeist erzählen die
Bergleute seit alter Zeit. Sie sagen allgemein, daß er es gut mit dem braven,
anständigen Bergmanne meint. Er warnt ihn frühzeitig, wenn der Berg zu Bruch
gehen will; und manchem hat er dadurch schon das Leben gerettet. Es wird
berichtet, daß er in alter Zeit verkleidet vor Ort erschienen sei und dem
Knappen, dem das Öl auf dem Geleucht versiegte, ausgeholfen habe. Da in vielen
Gruben der Weg bis vor Ort sehr weit ist, kann sich jeder vorstellen, wie gefährlich
es ist, ohne Licht in den Stollen umherzuirren. Ja, es soll vorgekommen sein, daß
er einem Kumpel, der mit seiner Familie unverschuldet in Not geraten sei, selber
eine reiche Erzader geöffnet hat, so daß er über Nacht aller Sorgen ledig
war.
Doch ist auch bekannt, daß
der Berggeist dem Bergmanne, der nicht kameradschaftlich handelt, schweren
Schaden zufügt. So ist es ihm zu danken, daß die Bergleute unter sich die
beste Kameradschaft halten und auch in der größten Not fest zusammenstehen.
Auch die Männer auf den Bohrtürmen
wissen manches vom Berggeist zu berichten. Wenn sie wissen wollen, ob er in dem
Bohrloche anwesend ist, so schlagen sie, wenn das Bohrgestänge ausgefahren ist,
mit einem schweren Hammer an das Bohrrohr. Dann antwortet der Geist nach einiger
Zeit mit donnernder Stimme. Man darf das Klopfen nicht zu oft wiederholen, sonst
wird er ärgerlich und spielt der Schicht einen bösen Streich. Wird das Gestänge
wieder eingefahren und gebohrt, so klemmt er den Bohrmeißel fest oder läßt
ein Gewinde, eine Muffe zu Bruch gehen, so daß das Gestänge wieder ausgefahren
werden muß, um den Schaden auszubessern. Oft bleibt dabei ein Teil desselben im
Bohrloch zurück, so daß außerdem Fangarbeit geleistet werden muß. Solche
Arbeit kostet zuweilen wochenlange Mühe und viel Geld. Bohrmeister und Schichtführer
sehen es darum nicht gern, wenn Bohrmänner den Berggeist reizen.
Wird er in Ruhe gelassen, dann
ist er gern behilflich. Er gibt den Männern Zeichen, auf die sie achten sollen.
So schickt er in der Spülung Gasspuren nach oben, die darauf hindeuten, daß
die ölführende Erdschicht bald erreicht wird. Steht ein Ausbruch von Erdöl
bevor, so rumort er kurze Zeit vorher ganz laut im Bohrloche. Jetzt ist höchste
Vorsicht geboten, und es wird Zeit, die Vorbereitungen für das Auffangen des Öls
zu treffen.
In Oelheim hat ein junger
Bohrmann gleich in den ersten Tagen seiner Tätigkeit auf einem Bohrturm das
Rumoren des Berggeistes gehört, aber nicht gewußt, was das zu bedeuten hatte.
Da gerade Mittagspause war und er als Wache im Turme stand, hat er nicht daran
gedacht, dem Schichtführer Meldung zu erstatten. So erfolgte ganz plötzlich
der Ölausbruch. In hohem Bogen spritzte das flüssige Gold aus der Erde heraus.
Der Überraschte wurde von unten bis oben hin mit dem braunen Öl überschüttet,
so daß er sich nicht mehr ähnlich sah. Das gab eine böse Überraschung für
die Leute, die in der Kaue saßen und ihr Mittagbrot verzehrten. Sie ließen
alles stehen und liegen, sprangen auf und eilten mit Riesenschritten herbei, um
das kostbare Naß einzufangen. Mit Windeseile warfen sie Gräben auf, zogen Dämme,
stellten Pumpen bereit, setzten sie in Betrieb, damit die wertvolle Flüssigkeit
in die bereitstehenden Behälter gefördert werden konnte. Bald lief das Öl in
der üblichen Weise seinen Weg. Der Schreck war überstanden, aber der vom Ölausbruch
Überraschte mußte sich noch oft necken lassen, denn: „Wer den Schaden hat,
braucht für den Spott nicht zu sorgen!“
Die erfahrenen Bohrmänner
sind aber vor dem Berggeist ebenso wenig sicher wie die Anfänger. Das sollte
einmal eine Belegschaft in Oberg erleben. Sie war mit einer Bohrung gut fündig
geworden und förderte schon längere Zeit viele Tonnen Öl. Plötzlich
versiegte die Quelle. Aus diesem Grunde bemühte man sich, dem Öl den Weg
wieder frei zu geben. Die Schlammbüchse, das in diesem Falle benötigte Gerät,
wurde eingefahren und mit einem starken Seile am Pumpenschwengelbocke befestigt.
Darauf brachte man den Motor in Gang und ließ die Büchse im Bohrloche auf- und
niederwippen. Dadurch wurde die Bahn zwar frei; aber man hatte die Rechnung ohne
den Berggeist gemacht. Er verstand das dauernde Wippen falsch und glaubte, man
wolle ihn necken. So schleuderte er mit großer Kraft die Schlammbüchse aus der
Tiefe des Bohrloches nach oben an die Oberfläche und aus dem Bohrrohr hinaus.
Gleichzeitig entwichen Öl, Gas und Schlamm und regneten unaufhörlich auf die
Verdutzten herab, die im Nu übergossen und durchtränkt waren, aber den
Arbeitsplatz nicht verlassen durften. Galt es doch jetzt, das Bohrloch mit größter
Schnelligkeit abzudichten und das Erdöl wieder in die gewohnte Bahn zu lenken.
Nach mühevoller Arbeit gelang das auch, aber noch heute, nach langen Jahren,
lachen diejenigen, die davon betroffen wurden, über diesen Schabernack des
Berggeistes, dem das Wippen nicht gefallen hatte.
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