„Ahrens Kamer“ im Woltorfer Holze

In der Woltorfer Forst gibt es einen Platz, der wird „Ahrens Kamer“ genannt. Die Alten wissen davon folgendes zu erzählen:

Im Dreißigjährigen Kriege hatte ein Woltorfer Einwohner mit einem der fremdländischen Reiter einen bösen Streit. Um einer blutigen Auseinandersetzung zu entgehen, verließ er sich auf die Schnelligkeit seiner Beine und ergriff die Flucht. Er wollte auf kürzestem Wege das Woltorfer Holz erreichen. Dort hatte er sich schon früher ein sicheres Versteck, heute „Ahrens Kamer“ genannt, eingerichtet.

Der Reiter verfolgte ihn auf schnellem Rosse. Mit seinem langen Degen wollte er den Flüchtigen erschlagen. Fast hätte er ihn gefaßt, aber da lag vor beiden ein an vielen Stellen unergründlicher Sumpf. Ahrens kannte einen schmalen Pfad. Sogleich bog er in diesen ein, lief auf ihm entlang und erreichte glücklich die rettende Seite.

Der Verfolger ahnte nichts von der ihm drohenden Gefahr. Er hatte nur sein Ziel, den Verfolgten, im Auge, der jetzt in den Büschen jenseits des Sumpfes verschwand. In dem Augenblick erreichte der schwedische Reiter den gefahrvollen Ort. In blinder Wut hetzte er sein Pferd vorwärts, damit ihm der Flüchtige nicht noch in der letzten Minute entgehe. Das kluge Tier witterte wohl die Gefahr und stutzte, aber der unkluge Herr drückte ihm unbarmherzig die Sporen in die Weichen, so daß das Tier mit letzter Kraft zum Sprunge ansetzte. Die Hufe hatten eben den Boden berührt, da gab dieser nach Ehe die Hinterbeine aufgesetzt hatten, waren schon die Vorderhufe und die Kniee im Morast versunken. Roß und Reiter überschlugen sich. Der Reiter flog mit sausendem Schwunge weit in den Sumpf hinein und stürzte in eines der gefährlichen Löcher, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Ehe er sich aus seiner kurzen Betäubung aufrichten konnte, setzte schon die saugende Wirkung des unergründlichen Bodens ein. Jetzt merkte er endlich, daß er in eine Falle gegangen war. Als er spürte, daß es ihm nicht gelingen wollte, frei zu kommen, schrie er gellend um Hilfe.

Ahrens ging, als er die Hilferufe hörte, vorsichtig zurück. Am Rande des Sumpfes angekommen, bot sich ihm das schreckliche Bild dar. Verzweifelt bemühte sich der Unglückliche, aus dem Sumpfloch los zu kommen. Todesangst spiegelte sich in seinem Gesicht, denn alle Mühe ließ ihn tiefer sinken, jede Bewegung erhöhte nur die Gefahr des Versinkens. Auch das Roß brachte sich bei jeder Bewegung in größere Gefahr. Stöhnend kämpfte es mit äußerster Kraft gegen das Verderben in diesem grausamen Sumpfloch.

Der um sein Leben ringende Reiter bat mit fast versagender Stimme um Hilfe. Allein, wie sollte Ahrens helfen? Jegliches Hilfsmittel fehlte ihm. Entsetzt von der vor seinen Augen sich abspielenden Tragödie reute ihn die Tat, die zwar ihm das Leben gerettet, diesen Fremden und sein treues Pferd aber um so sicherer in das Unglück geführt hatte, das er nun nicht abwenden konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Woher sollte er einen Gegenstand nehmen, der helfen konnte? Die Häuser des Dorfes lagen weit fort. Dort gab es Leitern, Stricke und Beile zum Abhauen eines Baumes in Hülle und Fülle, aber hier mußte er untätig stehen und zusehen, wie sich an Reiter und Roß das grausame Geschick erfüllte. Ahrens soll ein alter Mann geworden sein. Er hat die Geschichte seinen Nachkommen erzählt und immer dabei gesagt, daß er niemals in seinem Leben vergessen werde, wie ohnmächtig er gewesen sei, als der Schwedenreiter mit seinem Pferde in die schweigende Tiefe gesunken sei.